In der Luft liegt der Duft von warmem Essen, Gewürzen, grilliertem Fleisch. Von der Decke hängen bunte, orientalische Lampen, in einer Ecke stehen kleine Tische aus Holz, daneben grosse Sitzkissen und Bänke. «Die Tische sind original aus Syrien», sagt Nahed Razouk stolz, und zeigt auf einen der niedrigen Holztische.

Am frühen Nachmittag treffe ich sie für ein Gespräch in ihrem neuen Lokal «Aleppo» in der Rathausgasse in Liestal. Die Tische sind voll besetzt, auch wenn die Mittagszeit bereits vorbei ist. Razouk stellt einen Teller auf den Tisch. Darauf sind Probierportionen der Spezialitäten, die sie jeden Tag zubereitet. Taboulé, Hummus Falafel und Küppe sind nur einige davon. Es riecht himmlisch. «Erst essen wir, dann reden wir», sagt Razouk.

Aus dem Krieg in die Schweiz

Nahed Razouks Tag ist streng geplant: Um sieben Uhr steht sie auf und schickt ihren jüngsten Sohn in die Schule. Dann steigt sie die Treppe runter in die Küche unter ihrer Wohnung im Ziegelhofareal und beginnt mit den Vorbereitungen für das Mittagsmenü. Zwiebeln schnippeln, Gewürze mischen, Fleisch anbraten – Razouk liebt es, zu kochen. «Aufräumen mag ich weniger, das übernimmt zum Glück mein Mann.»

Mit Ahmad zusammen hat sie im letzten Dezember ein Take-away im Ziegelhofareal eröffnet, in dem sie syrische Spezialitäten anboten. Weil das bei den hungrigen Angestellten in der Stadt so gut ankam, konnten sie in diesem Jahr in die Rathausgasse expandieren. Sowohl das Take-away im Ziegelhofareal als auch das neue Lokal tragen den Namen von Razouks Heimatstadt: Aleppo. In das neue Lokal bringt das Ehepaar dann alle vorbereiteten Speisen, die sie dort in der Mittagszeit verkaufen. «In der Rathausgasse haben wir keine Küche», erklärt Nahed Razouk den Grund für die Packerei. Am Nachmittag gehen sie und ihr Mann dann zurück in das Ziegelhofareal, putzen die Küche, kochen erneut, um dann am Abend neue Gerichte anzubieten. Wenn sie Zeit haben, dann helfen auch ihre Söhne mit. So versucht die Familie, sich in der Schweiz langsam eine neue Existenz aufzubauen. Ihre Alte liessen sie in Syrien zurück.

Nahed Razouk verbrachte die ersten Jahrzehnte ihres Lebens in Aleppo. Sie wuchs in einer Grossfamilie auf, die Verwandten wohnten alle in der gleichen Strasse. «Mein Vater hatte elf Geschwister, und alle hatten Kinder. Das war schön.» Razouk schweigt kurz, wedelt mit der Hand in Luft. «Nun sind alle verstreut: in Schweden, in Deutschland, in der Schweiz.» Es war der Bürgerkrieg, der Razouks Familie auseinanderriss. Sie selber reiste ihrem Mann in die Schweiz nach, nachdem er 2012 geflüchtet war. Er arbeitete für das Militär auf einem Militärflughafen. Als der Krieg ausbrach, desertierte er. «Er wollte nicht gegen seine Landsleute kämpfen», erklärt Razouk kurz. Mit ihrem heute 10-jährigen Sohn folgte sie ihrem Mann nach Delémont, später kamen ihre beiden älteren Söhne ebenfalls nach. Sie sind heute 23 und 18 Jahre alt.

Arbeit um jeden Preis

In Delémont war Razouk bald klar: Sie braucht eine Aufgabe. Am Wochenmarkt fiel ihr auf, dass viele Stände Gerichte aus anderen Kulturen anbieten. Da Razouk gerne kocht, brachte sie oft Essen mit in die Sprachschule, und dort waren ihre Mitschüler jeweils begeistert. «Sie ermutigten mich, das Essen zu verkaufen», erinnert sich Razouk mit einem Lächeln.

Razouk lächelt oft. Sie redet leise, aber bestimmt. Wenn sie im Aleppo an der Rathausgasse die Gäste bewirtet wirkt es so, als hätte sie nie etwas anderes gemacht. Dabei hat sie beruflich schon vieles ausprobiert, sie ist nicht erst seit Kurzem Unternehmerin. Schon in Aleppo baute sie ein eigenes Internetcafé auf, nachdem sie ihren ursprünglichen Beruf als Kindergärtnerin aus gesundheitlichen Gründen aufgeben musste. Und so suchte sie auch in der Schweiz eine Möglichkeit, ein Einkommen für sich und ihre Familie zu finden.

Der Stand am Wochenmarkt in Delémont sollte nur der Anfang sein. Bei einem Besuch bei der Mutter ihres Mannes, die in Liestal lebte, sah sie eine Anzeige, wonach auf dem Ziegelhofareal neue Vorschläge für Nutzungsmöglichkeiten gesucht wurden. Razouk wusste: Das ist ihre Chance. Kurzerhand bewarb sie sich beim Projekt «Denkstatt Sarl» darum, ein Take-away eröffnen zu dürfen. Das Team griff ihr dabei kräftig unter die Arme. Sie halfen, die Küche auf Vordermann zu bringen, und stellten ihr Geschirr und Möbel zur Verfügung. «Das war Wahnsinn», erinnert sich Razouk. «Ohne sie hätte ich das nie geschafft.»

Blitzstart mit «Aleppo»

Schliesslich kam der grosse Tag: Am 21.12.2016 feierte ihr Take-away die Eröffnung. «Ich war sehr nervös, ich hatte grosse Angst, dass niemand vorbeikommt», so Razouk. Diese Angst war unbegründet, schnell hatte sie viele Stammkunden. Auch für Catering wurde sie regelmässig angefragt. Um für zukünftige Investitionen gerüstet zu sein, erfüllte sich Razouk in diesem Jahr einen Traum: Sie absolvierte beim Gründungszentrum Crescenda in Basel, das sich für die Ausbildung von Migrantinnen einsetzt, einen Gründungs- und Gastronomiekurs. «Das war richtig anstrengend. Ich hatte keinen Tag frei während der Ausbildung», seufzt Razouk. Aber der Aufwand lohnte sich: «Ich habe wahnsinnig viel über die Gastronomie gelernt.» Ihr Mann sei sehr stolz gewesen, als sie die Ausbildung bestanden habe. «Aber er ist auch sehr lieb und hilft mit, wo er kann.» Pause macht Nahed Razouk auch nach ihrer Ausbildung nicht viel.

Der Sonntag ist der einzige Tag, an dem Nahed Razouk nicht arbeitet. Dann geniesst sie die Zeit mit ihrer Familie, häufig besuchen sie die Mutter ihres Mannes in Bubendorf. «Sie hat eine Katze, und mein Sohn liebt das Tier», erzählt Razouk. Sie hat auch eine Cousine in Langenthal, die dort mit ihren vier Töchtern lebt. Wenn sie von ihr erzählt, wird sie wieder traurig. «Sie war mit dem Bruder meines Mannes verheiratet. Leider ist er im Krieg verschollen.» Sie vermisse ihre Verwandten oft, erzählt sie. «Von meiner eigenen Familie habe ich fast niemanden in der Schweiz, das sind mehr die Verwandten meines Mannes.»

Manchmal macht sie sich Sorgen um ihre Söhne: «Für sie war es nicht einfach. In Delémont lernten sie drei Jahre lang Französisch, und jetzt müssen sie noch Deutsch lernen.» Auch gesundheitlich geht es ihr nicht immer gut, regelmässig leidet sie an Thrombosen in den Beinen. «Von daher ist es eigentlich gar nicht so klug, wenn ich in der Gastrobranche arbeite», so Razouk und zuckt die Schultern.

Trotz dieser Beschwerden gefalle es ihr aber in der Schweiz. Die Landschaft sei schön, besonders in Ziefen, da gehe sie oft spazieren. An eines habe sie sich in ihrer neuen Heimat aber erst gewöhnen müssen: an die Pünktlichkeit. «In Syrien war das ganz anders», so Razouk und lacht. «Jetzt sage ich immer: Die Schweizer machen nicht nur Uhren, sie sind auch selber so pünktlich wie Uhren.»

Wird sie jemals nach Syrien zurückkehren? Nahed Razouk schüttelt entschieden den Kopf. «Mein Mann hat der syrischen Armee den Rücken gekehrt», erklärt sie. «Wenn wir zurückgehen, dann muss er ins Gefängnis.»